Fegefeuer der Eitelkeiten
Photo by Enrico Carcasci on Unsplash
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Eigentlich hätte ich darauf gefasst sein müssen, als ich mich auf das Abenteuer einließ, mit meiner Familie nach Mailand umzuziehen. Mailand, die Stadt der Mode, des Designs, das ist ein großer Wurf von unserer kleinen Kreisstadt im Alpenvorland, in der Sportlichkeit, nicht Eleganz den Ton angibt. Trotzdem komme ich sogar heute noch manchmal aus dem Staunen nicht heraus, wenn ich die eleganten, bis in die Zehenspitzen gestylten Donnas mit ihren überhohen Absätzen an mir vorbeistolzieren sehe. Natürlich kommt es darauf an, wo man wohnt. Der Zufall wollte es, dass wir mitten in der Stadt gelandet sind, 100 m Luftlinie von Armani und der weltweit bekannten Nobel-Modemeile Via Montenapoleone. „Rechts oder links?“ ist die Standardfrage, die ich meinem Mann stelle, bevor wir aus dem Haus gehen. „Links“ bedeutet das kleine, mit bunten Boutiquen gespickte Viertel Brera, „rechts“ die mondäne Welt der Mode, in der alle namhaften Geschäfte innerhalb von 100 Quadratmetern zu finden sind. Zwischen „rechts“ und „links“ liegen Welten, was die Anforderung an mein eigenes Outfit angeht, ich möchte ja schließlich nicht auffallen wie ein bunter Hund. Elegantes Schuhwerk, aufeinander abgestimmte Accessoires und natürlich Sonnenbrille sind die Mindestanforderungen, sollte die Wahl auf „rechts“ fallen. Die Mailänder Frau legt großen Wert auf ihr Äußeres und ist auch bereit, jede Menge dafür zu tun – angefangen mit dem asketischen Frühstück von trockenen Keksen und Espresso über den regelmäßigen Besuch des Fitnessstudios, bis hin zum zeitweisen Totalverzicht auf Süßigkeiten. Insbesondere wenn die ersten warmen Sonnenstrahlen in Mailand wieder an den bevorstehenden Sommer erinnern, gilt es, den inneren Schweinehund zu überwinden. „Ma no, pensa al costume!“ „Aber nein, denken Sie an den Badeanzug!“ ist die entsetzte Antwort, die mein Mann standardmäßig zu dieser Zeit von seinen Mitarbeiterinnen zu hören bekommt, sollte er sich erdreisten, ihnen zum cafè eine kleine süße Versuchung anzubieten. Die Mailänderin verwendet viel Geld und Zeit, um das, was sie zu bieten hat, in Szene zu setzen. Viele Frauen geben jeden Monat ihren letzten Cent für Mode und Körperpflege aus. Sparen als Zukunftssicherung – ein Thema, das die jüngere Generation in Mailand nicht kennt. „Le donne devono essere belle“, „Frauen müssen schön sein“, das ist die gängige Meinung des typischen Italieners und für viele zahlt sich die Schönheit dann früher oder später aus, weil man dem richtigen Mann zur richtigen Zeit die Augen verdrehen konnte – eine andere Art der Zukunftssicherung eben.
Was aber geschieht, wenn die so übermäßig zelebrierte Schönheit und Jugend dem Alter weichen müssen? Was, wenn das Haar ergraut, die ersten Falten kommen und das Gewebe schlaffer wird? Ganz einfach, Frau sucht nach Lösungen und die gibt es in Mailand quasi an jeder Ecke. Als ich vor einiger Zeit meinen Friseur gewechselt habe, bediente mich die Chefin, eine sehr kompetente und nette Frau. Wie viele Italiener strahlte auch sie diese lebensbejahende Haltung aus und wie viele Friseure war auch sie äußerst redsam. „Ma sei una bella donna!“ „Du bist aber eine hübsche Frau“, meinte sie ganz begeistert und fügte etwas bedauernd an: „ma tutte queste rughe!“ „Aber die vielen Falten…!“ Bevor ich noch auf den Affront reagieren konnte, erklärte sie auch schon versöhnlich: „Ho un amico che fa il botox, e nemmeno caro!“ „Ich habe einen Freund, der Botox spritzt, und das nicht einmal teuer!“
Es fiel mir in diesem Moment wie Schuppen von den Augen, dass sich eine solch skurrile Unterhaltung zwischen zwei quasi Fremden beim Friseur tatsächlich nur in Mailand abspielen konnte. Ich war mir absolut sicher, dass meine Friseurin mich keineswegs beleidigen wollte, immerhin gehörte sie auch selbst nicht mehr der jüngsten Generation an. Nachdem ich mich vom ersten Schreck erholt hatte, brachte ich die Natürlichkeit als Argument gegen eine Botox-Behandlung an, doch die Friseurin starrte mich nur mitleidig den Kopf schüttelnd an. Sie fragte sich wahrscheinlich gerade – nicht zu Unrecht – weshalb sie mir denn dann eben noch die neue Farbe ins Haar geschmiert hatte. Meinen inneren Zwiespalt erkennend, lächelte sie mich schließlich bemitleidend an, so als wolle sie sagen: „Warte nur, irgendwann kommst auch du noch auf den Geschmack!“ Auf mich wirkt Botox wie die unvermeidliche zweite Runde: Zuerst werden die Haare gefärbt, dann wird Botox gespritzt. Und was ist dann mit der dritten Runde? Auch hier hat Mailand jede Menge zu bieten im guten wie im schlechten Sinne. Die Bereitschaft über schönheitschirurgische Eingriffe zu reden, ist in Mailand unter Frauen erstaunlich groß. Egal ob Lifting, Lippen oder Busen, man befindet sich in guter Gesellschaft. „Eigentlich sollte das Alter der Frauen von 39 direkt auf 60 umspringen“, meinte meine Tochter kürzlich, angewidert vom Anblick einer mit Luftballonlippen entstellten älteren Mailänderin. „Alles was dazwischen kommt ist doch eh nur purer Stress! Mit 60 darf man dann getrost richtig Oma sein, und muss sich nicht mehr um all diese Äußerlichkeiten kümmern!“ „Aber das tut es doch“, gab ich ihr schmunzelnd zurück, „ich werde in diesem Jahr ja auch schon das siebte Mal 39!“
The Bonfire of the Vanities
Actually, I should have been prepared when I embarked on the adventure of moving with my family to Milan. Milan, the city of fashion, of design, that is a far cry from our small district town in the foothills of the Alps, in which sportiness, not elegance, sets the tone. Nevertheless, even today I am still sometimes amazed when I see the elegant Donna’s, styled up to the tips of their toes, strutting past me with their incredibly high heels. Of course, it depends where you live. Chance has it that we landed in the middle of the city, 100 m as the crow flies from Armani and the world-famous Nobel fashion mile Via Montenapoleone. “Right or left? is the standard question I ask my husband before we leave the house. “Left” means the small Brera neighborhood, dotted with colorful boutiques, “right” the sophisticated world of fashion, where all the well-known shops are within 100 square meters. Between “right” and “left” there are worlds as far as the demands on my own outfit are concerned, after all I don’t want to seem totally out of place. Elegant footwear, coordinated accessories and of course sunglasses are the minimum requirements if you choose “right”. The Milanese woman considers her appearance vastly important and is also willing to do a lot for it – starting with an ascetic breakfast of dry biscuits and espresso through regular visits to the gym to the temporary total renunciation of sweets. Especially when the first warm rays of sunshine in Milan hint to the upcoming summer, it is important to conquer one’s weaker self. “Ma no, pensa al costume!” “But no, think of the bathing suit” is the horrified answer that my husband gets to hear from his colleagues at this time of year, if he should dare to offer them a little sweet temptation to go with the café. The Milanese woman uses a lot of money and time to stage what she has to offer. Many women spend their last cent every month on fashion and body care. Saving for the future clearly is a concept that the younger generation in Milan isn’t familiar with. “Le donne devono essere belle”, “Women must be beautiful”, this is the common opinion of the typical Italian and for many women beauty pays off sooner or later, because you could turn the eyes of the right man at the right time – a different way of securing the future.
But what happens when the excessively celebrated beauty and youth have to give way to old age? What happens when the hair turns grey, the first wrinkles appear and the body loses some of it’s attraction? Quite simply, today’s woman is looking for solutions and you can find them on every corner in Milan. When I changed my hairdresser some time ago, the owner, a very competent and nice woman, did my hair. Like many Italians she also radiated this life-affirming attitude and like many hairdressers she was also extremely chatty. “Ma sei una bella donna! “But you are a beautiful woman,” she said enthusiastically and added somewhat regretfully: “ma tutte queste rughe!” “But all those wrinkles…!” Before I could even react to the affront, she already declared friendly: “Ho un amico che fa il botox, e nemmeno caro!”. “I have a friend who injects Botox, and that’s not even expensive!”
At that moment I was struck by the fact that such a bizarre conversation between two quasi strangers at the hairdresser’s could only take place in Milan. I was absolutely sure that my hairdresser didn’t want to offend me, after all she wasn’t exactly green either. After I had recovered from my first shock, I explained that I was rather the natural type, but the hairdresser just stared at me pitifully shaking her head. She probably just wondered – not without good reason – if so, why I just had my hair colored. Recognizing my inner struggle, she finally smiled pityingly at me, as if to say: “Just wait, at some point you’ll get a taste for it, too”. For me Botox seems like the inevitable second round: First the hair is dyed, then Botox is injected. And what about the third round? Milan has a lot to offer here, too, in both the good and bad sense. The willingness to talk about cosmetic surgery is surprisingly high among women in Milan. Whether lifting, lips or breasts, you are in good company. “Actually, the age of women should change directly from 39 to 60”, my daughter said recently, disgusted by the sight of an older Milanese woman disfigured with balloon lips. “Everything that comes in between is pure stress anyway! When you’re 60, you can be a real grandmother and don’t have to worry about all those superficial considerations! “But that’s what it does,” I gave her back with a smile, “I’ll be 39 for the seventh time this year!
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